Herzlich willkommen zur zweiten digitalen Vorlesung unserer Reihe Rechtsstaatlichkeit,
Grund- und Menschenrechte in der Corona-Krise. Mein Name ist Markus Krajewski, ich bin Professor
für Öffentliches Recht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ich freue mich, dass
Sie wieder dabei sind. In dieser Vorlesung möchte ich mich damit beschäftigen, wie weit
der Staat tatsächlich in unsere Grundrechte eingreifen darf und welche Grenzen dabei zu
berücksichtigen sind. Es geht also um die Frage, inwieweit die allgemeine Handlungsfreiheit,
die Bewegungsfreiheit, aber auch die Berufsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit eingeschränkt
werden darf zum Schutze von Gesundheit und Leben. Im ganzen Land werden die Einschränkungen und
Verbote, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erlassen wurden, schrittweise und vorsichtig
gelockert. Geschäfte und Restaurants dürfen unter Einhaltung strenger Hygieneschriften
wieder öffnen. Gottesdienste sind wieder, wenn auch sehr eingeschränkt, zulässig. Kitas und
Schulen öffnen langsam wieder ihre Toren. Gleichzeitig demonstrieren immer mehr Menschen
gegen noch verbleibende Einschränkungen. Viele von ihnen verweisen dabei auf das Grundgesetz
und Grundrechtseinschränkungen, die ihnen zu weit gehen. Diese Frage treibt nicht nur Bürgerinnen
und Bürger um, sondern sie beschäftigt auch Juristinnen und Juristen, zunehmend auch Gerichte.
In dieser Vorlesung wollen wir uns daher näher mit Grundrechtseingriffen durch Corona-Maßnahmen
befassen. Ich will dabei zwei konkrete Fragen behandeln. Erstens, welche Grundrechte wurden
eigentlich eingeschränkt? Das soll auch einen Eindruck vermitteln, wie weit die Einschränkungen
insgesamt gehen. Und zweitens, unter welchen Voraussetzungen dürfen Grundrechte eingeschränkt
werden? Kurz also, sind die Einschränkungen verfassungskonform? Wie bereits in der ersten
Vorlesung werden wir uns, als wir uns mit den Rechtsgrundlagen der Corona-Maßnahmen befasst
haben, bedarf es wieder eines Blicks in das Grundgesetz. Die Grundrechte stehen dort an
erster Stelle in Artikel 1 bis 19. Unsere Verfassung beginnt mit dem Bekenntnis des deutschen Volks zu
diesen Grundrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft und sie binden Gesetzgebung,
Regierungen und Verwaltungen sowie die Gerichte unmittelbar an die Grundrechte. Damit kommen wir
zur ersten Frage, welche Grundrechte wurden eingeschränkt? Corona-Maßnahmen der letzten
Wochen sind zahlreich und haben zu einer Vielzahl von Einschränkungen des Alltags, aber auch des
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens geführt. Wenn man den Grundrechte-Katalog
durchblättert, fallen einen viele Grundrechte auf, die eingeschränkt wurden. Das Verbot,
sich mit anderen Personen als der eigenen Familie unter dem eigenen Haushalt zu treffen,
schränkt die allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes 1. Das
Verbot, die Wohnung außer aus einem triftigen Grund zu verlassen, betrifft die Freiheit der
Personen nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das Verbot von Gottesdiensten greift in die
Religionsausübungsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes ein, die Schließung von Konzerthallen,
Theatern, Museen in die Kunstfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3. Beschränkungen von Demonstrationen
betreffen natürlich die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Grundgesetz. Das Verbot, innerhalb
Deutschlands Familienmitglieder zu besuchen, beschränkt die Freizügigkeit nach Artikel 11.
Und Betriebsschließungen und die Untersagung von Dienstleistungen betreffen natürlich die
Berufsfreiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes. Nicht ganz einfach zu bewerten ist die Schließung
von Schulen und Kindergärten. Das Grundgesetz kennt kein ausdrückliches Grundrecht auf Bildung.
Darauf kommen wir am Ende noch einmal zurück. Für das Recht auf Bildung müssen wir auf die
allgemeine Handlungsfreiheit und die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 Absatz 1 und auf
die Berufsfreiheit nach Artikel 12 abstellen, die jedenfalls auch die Ausbildung betrifft.
Eine andere Frage, die in der derzeitigen Diskussion allerdings kaum gestellt wird,
ist, welche Grundrechte wurden eigentlich nicht eingeschränkt. Auch hier kann man das Grundgesetz
durchblättern und zahlreiche Grundrechte finden, die gar nicht betroffen sind. Dazu zählen zum
Beispiel die Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes als die absolute Grundlage und
unantastbares Grundrecht. Keine der Maßnahmen, die im Zuge der Corona-Krise getroffen wurden,
machen den Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns. Ebenso wurde auch das Recht auf
körperliche Unversehrtheit nicht eingeschränkt. Es gibt keine staatlichen Zwangsbehandlungen,
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:21:59 Min
Aufnahmedatum
2020-05-24
Hochgeladen am
2020-05-24 20:16:27
Sprache
de-DE